This is part 2 of our little interview series with German street photographers. Rudi Meisel was born in Wilhelmshaven in 1949, has attended high school in Osnabrück and studied photography with Otto Steinert and Erich vom Endt at Folkwang School in Essen. Since 1971, nearly all the relevant weekly newspapers and magazines in Germany and the Western countries published his photographs. He is a founding member of the photo agency VISUM. In addition to photojournalism, he has worked occasionally for advertising and is now a lecturer also, working at the Ostkreuzschule für Fotografie und Gestaltung and the VISUM-photography school in Berlin.
This interview is in German. Click here for a very rough translation by google.
Rudi Meisel, wie sind Sie zur Fotografie gekommen?
Die Fotografie habe ich zum Ende meiner Schulzeit entdeckt. Als 18jähriger kurz vor dem Abitur, bin ich das erste Mal nach London gefahren. Ich war fasziniert von der Vielfalt der Stadt und mir liefen förmlich die Augen über vor Geschichten. Ich konnte das alles so schnell gar nicht fassen. Natürlich hatte ich eine Kamera dabei und fand in diesem Moment diese Kamera genau das richtige Werkzeug, um das alles irgendwie festzuhalten, und zu Hause erzählen zu können, so sieht es da aus – ist das nicht Wahnsinn?
Auf dem Gymnasium machte ich mit Freunden zusammen die Schulzeitung, deshalb war ich ein bisschen in diesem Metier drin – Fotos, Schwarzweisslabor, Layout, Schriften, Artikel schreiben, Reportagen zusammensetzen. Dort habe ich dann auch meine erste Geschichte mit Fotos veröffentlicht und das war meine Entscheidung für die Fotografie. Wenn Sie in Fotografenbiografien reingucken oder in Biografien allgemein, werden Sie immer wieder entdecken, dass ein erster früher Erfolg – in Form von Respekt und Anerkennung – oft der Anstoß ist, zu sagen „Das mache ich, das kann ich.“ oder besser: „Das will ich können.“ Was einem in dieser Alterspanne zwischen 15 und 25 gut gelingt – im positiven wie im negativen Sinne – bietet eine gute Selbsteinschätzung für die Berufswahl. Wenn in dieser Zeit jemand erfolgreicher Taschendieb ist, wird er immer wieder darauf zurückkommen, weil das mit Erfolg verbunden ist.
Studiert haben Sie dann in Essen ?
Ja. Durch Zufall bin ich 1969 an die Folkwangschule nach Essen geraten. Ich kannte den Namen Otto Steinert bis dahin nicht. Das erste Semester war eine harte Nummer. Ich hatte bis dahin keinen einzigen Film entwickelt und musste mir alles irgendwie abgucken. Im zweiten Semester war dann schon das Thema Auslandsreportage dran. Steinert sagte uns: „Wenn du den Daumen raushältst, bist du in spätestens in einer Stunde in Holland. Das ist schon Ausland. Wenn du das nicht schaffst, gehörst du auch nicht in diese Schule.” Steinert selbst hat nie journalistisch fotografiert. Er hat nicht kleine Steinerts geformt, sondern uns ermutigt, unsere eigenen Sachen zu machen. Aber es sollten tolle Bilder sein! Nur – was macht ein gutes Bild? Steinert hat uns immer wieder sehr gute Beispiele gezeigt, nur diese große Frage hat er uns im Grunde nicht beantwortet. Die fehlende Antwort haben wir uns zu Beginn unserer Freiberuflichkeit erarbeitet. Bei VISUM diskutierten wir am meisten darüber, welches der gute Print und welches das bessere Bild ist. Was ist eine gute Geschichte? Wann ist ein Bild gut?
VISUM war also nicht nur eine kommerziell ausgerichtete Agentur, sondern auch für den Austausch der Fotografen untereinander sehr wichtig?
Auf jeden Fall. So ein Gespräch untereinander, mit Kollegen und mit Freunden, die einen ziemlich lange kennen, ist schon eine sehr deutliche und klare Kritik. Solche Begegnungen sind weitgehend frei von Neid und Konkurrenz. Dieser Austausch hat uns als Gruppe nach dem Studium einen sehr großen Erfahrungsschub gebracht. Die Praxis und diese Art der Auseinandersetzung waren in unserem Studium zu kurz gekommen.
Neben journalistischen Arbeiten für Zeitschriften haben Sie hin und wieder auch für die Werbung fotografiert…
Bei zwei, drei Geschichten hatte ich Glück. Ein Auftrag war für Löwenbräu. Ich trinke selbst kaum Bier und fotografiere nicht für Alkohol und Zigaretten, aber bei Löwenbräu ging es um Bayern, um tolle Fotos – und um Bier. Der Deal mit dem Art Director war, arbeite du mit den Werbefotografen und gib uns (Dirk Reinartz und mir) jedem ein Auto und einen Kofferraum voll Filme und lass uns eine Woche arbeiten, zahl uns ein normales Magazinhonorar und dann dick für jedes Foto, das in die Auswahl kommt. So hatten wir das Risiko geteilt und am Ende die meisten Fotos in der Präsentation. Ich war frei, meine Bilder zu finden, ohne Assistent, ohne Lichtmaus und ohne Art Director.
Bei diesem Auftrag entdeckte ich die Muße beim Sitzen und Biertrinken. An Regentagen war mir die Melancholie noch stärker aufgefallen – Männer gehen in den Münchner Hirschgarten, holen sich ein Glas aus dem Schrank, füllen die mitgebrachte Bierflasche ein, sitzen unterm Regenschirm und legen die Geldtasche auf das Glas, damit es nicht reinregnet. Solch eine Szene von Schwermut hat mich wirklich gerührt. (Der Werbeleiter fand die Szene im verregneten Biergarten als Werbebild leider zu traurig.) Hier war Alltag mein Thema, Bier als Grundnahrungsmittel.
Haben Sie diese Szenen direkt fotografiert oder später für den Werbeauftrag nachgestellt?
Nein nein, diese Szenen habe ich entdeckt und unmittelbar fotografiert, habe dann die Leute angesprochen, dass das Bild möglicherweise für eine Ausstellung ist – ich würde Sie gerne einladen. So bekam ich die Adresse, aber noch nicht das Einverständnis einer Veröffentlichung, das war dann Sache der Agentur. Das war in der 1980er Jahren also lange vor Digitalkameras und Internet. Ein solches Gespräch kann ich nur nachträglich haben, sonst ist die Situation vorbei.
So mache ich das auch heute bei meiner Straßenfotografie, wenn ein Gespräch entsteht, was ich aber nicht suche. Auf der Strasse bin ich ein Voyeur und bewege mich als Flaneur. Das einzige, was ich von mir preisgebe, ist meine Erscheinung: mein Auftreten, Augenkontakt, auch Kleidung gibt immer ein Signal. Da habe ich ein wenig Erfahrung, was in diesem oder jenem Umfeld funktioniert.
Welchen Anspruch haben Sie an Ihre Straßenfotografie?
Mein Ziel ist, eine leichte Begegnung, eine Entdeckung, einen zauberhaften Moment einzufangen. Die Leute sehen auf meinen Fotos meist besser aus als in Wirklichkeit. Ich finde, meine Fotos müssen formal wie inhaltlich schön sein. Ich versuche, den Zauber der Person – vielleicht sogar der Persönlichkeit – zu entdecken. Mit Worten klingt das sicher kitschig. Gelegentlich sehe ich auf dem Kontaktbogen zehn, zwanzig, dreißig oder noch mehr Bilder von derselben Person und merke: Nee, das sind alles Gurken. Es trifft die Sache nicht, ich habe nur die Person erwischt mehr nicht. Also: weg damit. Es kommt noch etwas hinzu: ich fotografiere nicht nur die Person, sondern auch immer ein bisschen die Welt drum herum: Design, Mode, Autos – dann sehe ich möglicherweise das Bild in einigen Jahren ganz anders. Der Blick wird sich ändern. Später sehe ich, was für ein tolles Auto! Man guckt das Bild dann anders an – es hat sich aufgeladen. Ich empfinde es als eine große Freiheit, ein Glück, durch eine Stadt wie Berlin zu gehen und diese Vielfalt wahrzunehmen. Berlin ist von dieser Vielfalt geprägt wie keine andere deutsche Stadt. Hier müssen Sie gewärtig sein, alle möglichen Typen zu treffen – immer.
Ist das so?
Ja, Berlin ist von so einer großen Vielfalt, dass ich mich gelegentlich auf der Straße umdrehen muss und denke „Woran leidet die wohl?“ oder „Wo kommt der denn her?“. Gerade in den inneren Bezirken ist es Pflicht, seine selbstsichere Individualität vorzuführen, dass ich gelegentlich sage „Berlin ist eine große Klapsmühle und ich gehöre zum Personal.“ Dieses Straßentheater gelegentlich an einer großen Kreuzung stehend zu beobachten, ist eine große Entdeckung.
Trotzdem es so verrückt ist, suchen Sie aber die Schönheit in den Menschen?
Ich reagiere auf attraktive Bewegung und Kleidung – die ganze Erscheinung. Interessante Männer, attraktive Frauen. Ich arbeite nicht mit langen Brennweiten, ich bin immer nah dran, so um drei Meter. Und ich versuche auch immer zwei Geschichten in ein Bild zu bekommen – eine Person und noch eine andere dazu. Als ganz schlimm empfinde ich Freakshows in der Straßenfotografie, wo der Fotograf nur rumgeht und Leute abknallt. Diese Untersichten, bei denen die Kamera vor dem Bauch ist und der Fotograf nicht das Bild kontrolliert, bei denen die Leute gar nicht mitbekommen, dass sie fotografiert werden, empfinde ich als feige. Das ist überhaupt nicht mein Ding. Ich will den Leuten auf Augenhöhe begegnen. Man kann sich dieses Einverständnis „erschleichen“ und hinterher sagen „Sie haben mir ein wunderbares Bild geschenkt“. Oder wenn die Leute anfangen zu posen kann man sagen „Wissen Sie, ich bin ein alter Mann mit alter Kamera, wir werden beide nicht berühmt damit, aber lassen Sie mich mal unbeachtet arbeiten“. Bislang konnte ich mich da rauswinden. Wenn ich merke, dass einer deutlich ablehnt, sich dabei die Zeitung vor’s Gesicht hält, dann höre ich sofort auf, dieses Bild zu verfolgen. Wahrscheinlich bin ich zu harmoniebedürftig. Und wenn ich so durch die Stadt flaniere, und nach einem vermeintlich gutem Bild wie auf einem Trip bin und mir jemand nach einer Stunde oder mehr unerwartet die Hand auf die Schulter legt und mich fragt „Was machen Sie hier eigentlich?“, dann falle ich wie aus Wolken, als würde ich als Dieb erwischt. Dann bin ich völlig entgleist, aus der Spur und brauche sicher wieder ´ne Stunde um da wieder hinzukommen. Und wenn mich einer richtig ausschimpft, weil er ja überall durch Kameras beobachtet wird und jetzt den leibhaftigen Bilderteufel vor sich hat, nämlich jemanden mit einer Kamera!, dann bin ich manchmal für den Rest des Tages zu diesem Thema nicht mehr fähig.
Reagieren die Leute auf Sie als Straßenfotograf in Berlin anders als in anderen Städten?
Meine leidige Erfahrung ist, dass die Deutschen sehr unfreundlich bei diesem Thema sind. Besonders in Berlin. Anwälte machen für Geld alles, jeder hat eine Rechtschutzversicherung und ist bereit, sofort zu drohen. Da gibt es andere Städte, wo da mit sehr viel größerer Gelassenheit reagiert wird. London zum Beispiel – die Engländer sind freundlich und höflich, auch in Ihrer Ablehnung. Das ist anders als hier. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang die Popularität von Viviane Maier. Ich schaue mir dieses Galerienpublikum sehr genau an. Es gibt eine große Neugierde auf diese Bilder, eine Freude am Besichtigen und Entdecken der Geschichten, aber eine strikte Ablehnung heute selbst daran mitzuwirken, also auf einer Straßenfotografie entdeckt zu werden. Dieselben Leute, die mit Vergnügen diese Bilder betrachten, würden sich heute anwaltlich dagegen wehren, fotografiert zu werden.
Das finde ich schade, eigentlich verlogen. Übrigens werde ich selbst häufig fotografiert, weil ich oft mit Anzug und Hut rumlaufe. Das finden die Leute offenbar chic. Was soll’s? Was ich dabei denke, kann (noch) keiner fotografieren.
Es geht mir mehr um eine Menschlichkeit, eine Kommunikation im öffentlichen Raum. Wenn sich zwei Leute buchstäblich berühren. Wie bei Jean-Jaques Sempé, dem französischen Karikaturisten, der genau diesen Blick hat: einer guckt auf diese Welt und ist in seinem Glück versponnen, obwohl man auf dem gleichen Bild sieht, diese Welt ist doch furchtbar unübersichtlich und nicht zu verstehen. Aber Sempés Figur hat ein kleines Glück - vielleicht das Gespräch mit seiner Katze. So etwas suche ich auch.
Gibt es wesentliche Unterschiede in der Herangehensweise bei Ihrer Straßenfotografie und Ihrer Reportagearbeit?
Ja. In der Straßenfotografie bin ich viel offener. Auch für Enttäuschungen. Oft laufe ich den ganzen Tag herum und am Ende der Reise ist nichts dabei rumgekommen. Bei der Straßenfotografie muss ich offen sein wie ein Kind, staunend umherlaufen und Leuten folgen, die ich interessant und attraktiv finde. Ich bin ganz spontan und impulsiv und weiß nie, wie es ausgeht – wie auf einem Trip. Ich trage ein Jackett, bin telefonisch nicht erreichbar, habe eine Tageskarte von der BVG (öffentlicher Nahverkehr in Berlin, Anmerkung d. Red.) dabei, damit ich schnell mal in einen Bus oder eine Bahn springen kann, und bin ansonsten ganz frei und wach. Ich habe nur kleines Besteck dabei, 1 Kamera, zwei, drei Objektive, davon 50mm als längste Brennweite.
Bei einer Reportage hingegen bin ich mir schon vorher im Klaren was ich eigentlich erzählen will und wie. Oft lese ich vorher darüber, mache erst eine Locationtour und überlege dann, wie ich vorgehe, wie die Geschichte aufgebaut sein soll und wievielt Zeit ich brauche. Ich stelle also andere Fragen als bei der Straßenfotografie. Und meine Ausrüstung ist mit Objektiven, Stativ und Blitz deutlich größer.
Verfolgen Sie die Arbeit jüngerer Straßenfotografen? Gibt es welche, die Sie beeindrucken oder sind es nach wie vor eher die alten Meister, die für Sie Vorbild sind?
Mich beeindrucken doch zuerst die Klassiker. Beispielsweise gab es kürzlich in Berlin die Ausstellung von Friedrich Seidenstücker. Bei dieser Ausstellung ging man durch und kam ein bisschen besser gelaunt wieder raus als man rein ging. Was kann künstlerische Arbeit mehr, als die Leute berühren? Zum Lachen oder zum Weinen bringen? Das ist eigentlich das höchste Ziel von Kunst. Das geht mir bei Elliott Erwitt ähnlich. Man schaut diese Schwarzweissfotos an und denkt „Ha! – das Leben ist doch schön, oder?“. Es berührt einen – und das mit einer großen Leichtigkeit. Doch – mir gefallen auch jüngere deutsche Kollegen: bei Andreas Herzau finde ich bei seinen Straßenfotos in Moskau und Istanbul gute Farbbilder, Frank Silberbach erzählt ganze Kurzgeschichten im schwarzweissen Panoramaformat und Gören Gnaudschun hat eine Szene junger Drop-outs im Zentrum Berlins nah und emphatisch farbfotografiert. Seit langem beobachte ich mit grossem Vergnügen die Farbbilder von Alex Webb.
Trotzdem verfolgen Sie aber auch die neueren Vertreter der Street Photography?
Sicher. Es gab letzten Sommer dieses London Street Photography Festival. Ich habe mir die Einsendungen im Netz angesehen und gemerkt, dass die etwas anderes suchen: den ganz kurzen, zufälligen Moment, weniger die Geschichte. Z.B. gab es dort dieses Foto, auf dem jemand vor einem Geldautomat steht, davor ist alles ausgekotzt und der Typ, der Geld zieht, steht breitbeinig über der Kotze und ist von hinten fotografiert. Da dachte ich: Okay, das ist schon ein toller Moment. Ich mag symmetrische Bilder eher nicht, ich will mehr Tiefe und Ruhe. Da merkte ich: diese schnellen Wilden, nenne ich sie mal, haben eine andere Sicht auf das Leben.
Ich muss dazu noch mal etwas zurückgehen: in unserer Studienzeit ging es um journalistische Fotografie. Wir wollten im Grunde mit einer Kleinbildkamera und tollen Geschichten die Welt erkennen, erklären und natürlich verändern. Dann folgte die Anerkennung der Fotografie durch den Kunstmarkt. Die Bechers und deren Schüler mit dieser Art von Konzept- und vorausgedachter Fotografie waren plötzlich keine Dokumentarfotografen mehr, sondern Künstler. Mit deren Fotos verschwand der Moment aus der Fotografie. Während wir noch von Cartier-Bressons „decisive moment“ geprägt waren, ging es in diesen Großbildfotografien gar nicht um den Moment. Es geht hier immer um Ewigkeitsbilder, die eine halbe Minute belichtet sind, da kann ich nicht auf die Schrittfolge von zwei Personen achten. Mit der digitalen Technik ist dann der Moment wieder zurückgekommen. Plötzlich können wir mit den höheren Empfindlichkeiten auch ganz andere Themen in Augenschein nehmen. Die aktuellen Fotokameras sind ja inzwischen fast Nachtsichtgeräte. Man kann jetzt auch bei schlechtem Wetter tolle Bilder machen, das war so früher alles gar nicht möglich. Und davon sind natürlich die neuen Entdecker der Straßenfotografie geprägt: die sagen „Jetzt kann man alles machen – also machen wir alles!“ Ich merke, dass sich in der Straßenfotografie sehr viele Strömungen entwickelt haben und Vielfalt gefällt mir immer. Jeder kann seine Bemerkungen zu einem Thema in Form von Bildern machen und diese Art von Auseinandersetzung finde ich interessant.
Die Straßenfotografie ist ein Feld, auf dem man sich vielfältig versuchen kann. Jetzt, da die Straßenfotografie wieder Beachtung findet, ist die Vielfalt wieder hergestellt. Die ganzen 1980er und 1990er Jahre hingegen bin ich gelegentlich belächelt worden mit meiner schwarzweissen, romantischen Straßenfotografie.
Nebenbei, ich finde Andreas Gurskys Arbeiten vor 1993 sehr interessant. Da hat er tolle Bilder in der Umgebung von Düsseldorf gemacht, in einem Umkreis von 40km um seinen Wohnort. Autobahnen, Leute die sonntags den Fliegern in Düsseldorf hinterher gucken…. halb journalistisch und immer mit einer gewissen Komik.
Das ist ganz wenigen jungen Fotografen gelungen, dass sie in ihrer vertrauten Umgebung Bilder machen, die noch Jahrzehnte später richtig gut sind.
Gibt es für Sie eine typisch deutsche Straßenfotografie?
Nein – wie gesagt, die Vielfalt gefällt mir.
Sie dozieren auch. Zum Beispiel an der Ostkreuzschule und auch an der VISUM-Fotoschule in Berlin. Was macht die Arbeit mit den Schülern für Sie spannend?
Bei einer Unterrichtssituation ist es für mich immer ein Gewinn, irritiert zu werden. Dass bei mir selbst auch Regeln in Frage gestellt werden. Wo ich denke: das hätte ich so nie gemacht, das kann man so eigentlich nicht machen und ich sehe mir die Bilder an und sage mir „Gar nicht schlecht. Eigentlich ist alles falsch gemacht, aber es sind dennoch gute Bilder!“ Dann gilt es zu gucken und zu diskutieren, wie ist das gemeint? Warum finden die das jetzt gut? Was sind deren Vor-Bilder ?
In dem Zusammenhang finde ich es immer wieder erstaunlich, wie sehr wir Fotografie mit dem Gehirn sehen, also unser bisheriges Leben dazu befragen. Was habe ich schon gesehen? Was ist mir vertraut? Was kann ich entschlüsseln? Und das, obwohl die Fotografie ihrem Wesen nach die Oberfläche abbildet. Sie kann nur die Äußerlichkeiten abbilden, das heißt, sie ist Projektion. Wie eine schöne Frau eine Projektionsfläche ist. Ob ich mit der befreundet sein möchte? Möglicherweise ein Irrtum, eine große Enttäuschung! Mit zunehmendem Alter differenziert man mehr. Jedes Foto hat, wenn es gut ist, auch ein Geheimnis. Man guckt drauf und kann das Geheimnis nicht ganz entschlüsseln. Das ist das Wesen von guter Fotografie, es wird einem nicht alles erzählt.
Besten Dank für dieses Interview.
Das Gespräch führte Christian Reister.
Links
Bildstrecke Alltag im Ruhrgebiet, Rudi Meisel 1979 – 1985
Leben in den Städten – Ausstellung in der Loftgalerie, Berlin
Rudi Meisel bei VISUM
Rudi Meisel, Dozent auf der VISUM Fotoschule
Rudi Meisel, Dozent bei der Ostkreuzschule